Was ist eine FAVELA?
Favela (fawähla ausgesprochen) heißt in Süd-Amerika auch villa miseria, brarriada, im englischen Sprachraum shantytown, township oder slum. UN-HABITAT definiert den Begriff slum als „Siedlung, in der mehr als die Hälfte der Einwohner in unzumutbaren Unterkünften ohne grundlegende Versorgungseinrichtungen leben, ohne Eigentumsrechte, Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen und ohne ausreichenden Wohnraum“. Laut einer UN-Statistik lebt beinahe jeder 6.Mensch auf der Welt - also etwa eine Milliarde Menschen! – in solch einem Elendsviertel, in dem Armut, Krankheiten, Diskriminierung und kein Zugang zu Bildung herrschen! Dazu kommt eine hohe Arbeitslosenquote, gepaart mit sozialen Problemen, Kriminalität, Drogenmissbrauch und Alkohollismus.
In Brasilien wurde favela offiziell zum ersten Mal 1920 verwendet: so wurde eine Siedlung bestehend aus 839 Unterkünften auf dem Morro da Providência in Rio de Janeiro während des Zensus bezeichnet. 1963 wurde die offizielle Definition formuliert: „favela ist eine Gruppe von Behausungen mit hoher Bevölkerungsdichte, unsystematisch und mit ungeeignetem Material ohne Zoneneinteilung errichtet, ohne öffentliche Versorgung und auf illegal genützten Grundstücken ohne Einverständis des Eigentümers“.
Wurde 1963 in der Formulierung noch explizit auf „… illegal genutzten Grundstücken …“ Bezug genommen und waren favelas zu der Zeit noch eher an den Rändern der Großstädte zu finden, so gibt es heute den Begriff der favelas verticais: senkrechte favelas. Es handelt sich hierbei um besetzte Hochhausbauruinen oder um illegal besiedelte Hochhäuser, die aus unterschiedlichen Gründen leer stehen. Es ist selbsterklärend, dass sich dieses Phänomen im dichtbebauten Stadtgebiet entwickelt. Heutzutage werden brasilianische Städte auf ihren gesamten urbanen Flächen von favelas durchzogen.
Die Keimzelle einer neuen favela findet sich, zum Beispiel, unter einer Brücke einer Stadtautobahn. Obdachlose spannen zwischen den Pfeilern einige Planenfetzen auf, klemmen zusammengefaltete Kartons verstärkend dazu, verwenden vielleicht noch ein altes Autowrackdach als begrenzenden Schutzwall. Die "Baumaterialien" stammen von Müllkippen, Schrottplätzen oder liegen schlicht am Straßenrand. Werden die Menschen nicht vertrieben, beginnen sie, ihre Behausung mit alten Brettern und Fundstücken aus Abbruchhäusern zu befestigen.
Diejenigen, die auf diese verzweifelte Art versuchen, sich ein Dach über dem Kopf zu schaffen, sind sehr häufig vom Land in die Großstadt gezogen, in der Erwartung, Arbeit und ein besseres Auskommen zu finden. Noch immer ist in weiten Teilen Brasiliens das ausbeuterische System des Großgrundbesitzertums realitätsbestimmend. Die einfache Landbevölkerung ist ungebildet – Analphabetismus nach wie vor weit verbreitet – und arbeitet, schlecht bezahlt, meistens in der Landwirtschaft.
Kommen diese Leute in den Städten an, merken sie schnell, dass ihre Fähigkeiten nicht gefragt sind; sie nichts beherrschen, was ihren Erwartungen, ein besseres Leben führen zu können, ein Stück näher bringt. Und so landen sie erst einmal als Obdachlose, zum Beispiel, unter einer Brücke. Viele driften dann in Drogen- und Alkoholmissbrauch ab, gleiten ab in die Beschaffungskriminalität und -prostitution.
Die Smarten und Anpassungsfähigen ergattern einen Aushilfsjob oder werden Tagelöhner. Irgendwann sind sie dann finanziell vielleicht in der Lage, Ziegelsteine, Zement und Zinkbleche für ein Dach zu kaufen. Auf einem Stückchen besetzten Landes wird eine winzige 1-Zimmer-Steinhütte gebaut, die, so bald als möglich, erweitert wird. Es zieht die arme Verwandschaft vom Lande nach – und so wächst die favela unablässig … Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein gut funktionierendes Gesellschaftsgefüge, belastbare soziale Strukturen, verbindliche zwischenmenschliche Beziehungen, Die meisten faveleiros (= Bewohner dieser Armenviertel) sind arbeitswillige, ehrliche Leute ohne Zukunftsperspektiven. Aber es gibt auch das andere, negative, gewaltätige, schwerstkriminelle Gesicht der favelas: das organisierte Verbrechen sucht sehr häufig Unterschlupf in diesen Siedlungen. Die Bewohner werden nicht selten als menschliche Schutzschilde missbraucht oder mit lukrativen Jobs für die Bosse geködert, nach Mafia-Vorbild.
Seit Jahrzehnten starten die Behörden periodisch Kampagnen, die favelas zu beseitigen. Hat sich eine Siedlung schon zu fest etabliert, geht man in jüngerer Zeit eher dazu über, das Chaos zu ordnen: Wege befestigen; Trinkwasser- und Stromversorgung aufbauen, ein Kanalisationsnetz implementieren; Schulen, Polizeiposten, Krankenambulanzen einrichten – kurz: eine öffentliche Infrastruktur zu kreieren. Das ist ein zäher, kostenintensiver Prozess, der immer wieder durch Behördenschlamperei und Korruption gelähmt wird. Der vor ca.10 Jahren von der der Regierung unternommene Versuch, den offiziellen Begriff favela durch communidade (= Gemeinde) zu ersetzen, scheiterte bedauerlicherweise an der Realität. Es sollte auf diese Weise die Diskriminierung der faveleiros unterbunden werden: gibt es keine favelas mehr, können deren Bewohner auch nicht mehr augegrenzt werden – so konnte es aber nicht gelingen, die Mißstände zu beheben!
Die oben formulierten Ausführungen sollen dazu dienen, Ihnen ein genaueres Bild der Umgebung zu zeichnen, in der sich die Einrichtung SBA GIRASSOL Kids/Pro befindet. Seit den Anfängen 1992 hat sich „unsere“ favela im Stadtteil Grajaú im Süden von São Paulo nicht nur deutlich vergrößert, sondern ist auch „solider“ geworden: viele Bretterbuden von damals sind festgefügten Gebäuden aus Ziegeln und Beton, keiner Bauvorschrift gehorchend, gewichen. Die Stadtverwaltung arbeitet – seit längerem! – an der eigentlich selbstverständlichen Infrastruktur für eine Metropole wie São Paulo …
An den immensen sozialen Problemen der favela, in der GIRASSOL liegt, hat sich bisher kaum etwas geändert. Und so ist es fast logisch, dass eine Einrichtung, die den Kindern und Jugenlichen aus dieser zukunfstlosen Umgebung Betreuung und Bildung quasi zum Nulltarif anbietet, zum Leuchtturmprojekt wird.
SBA GIRASSOL Kids/Pro hat vielen Familien der favela in Grajaú eine Perspektive eröffnet, die ihnen den Weg in ein selbstbestimmtes, ehrliches Leben zu ebnen hilft. Um den steigenden Anforderungen, dem stetig wachsenden Bedarf in der Bevölkerung, den umfangreicher werdenden Aufgaben gerecht zu werden, muß GIRASSOL nicht nur die monatlichen Betriebskosten von € 35.000,00 stemmen.